Es hält sich hartnäckig die Erzählung im Dorf Loccum, dass in der Osternacht Menschen zu der Quelle gehen. Schweigen müssten sie, sagt man, auf dem Hin- und auf dem Rückweg. Ein Wort, ein Gruß nur – und schon könne das geschöpfte Wasser nicht mehr helfen. Eine klare, kleine Quelle ist der Jakobsbrunnen, deren Wasser leise in einen steinernen Trog fließt, um von dort in den Bach „Fulde” zu gelangen. Kalt und erfrischend ist das Wasser, Wanderer im Klosterwald können es ohne Bedenken trinken. Ohne Bedenken sollen es auch diejenigen trinken, die sich dort Osterwasser holen. „Meine Urgroßmutter hat sich jeden Morgen mit dem Osterwasser die Augen ausgewaschen – damit sie keine Falten um die Augen bekommt”, erzählt Ingrid Schnepel. Ihr Mann, Herbert Schnepel, gehe jedes Jahr in der Osternacht den Weg zu dem Brunnen. Das Wasser, das er mitbringt, verwendet sie gerne. Drei Flaschen schöpft Herbert Schnepel üblicherweise. Das, was dem Osterwasser zugeschrieben wird, dass es nämlich nicht nur heilende Wirkung hat, sondern auch das ganze Jahr über frisch bleibt, bestätigt das Ehepaar. Ob es nun Aberglaube ist? Ingrid Schnepel will das nicht von der Hand weisen. Aber wenn es doch helfe! Lieselotte Kahle, ebenfalls Loccumerin, hat noch eine andere Geschichten zu der Quelle parat von ihrer Tochter, die mit einer Freundin im Teenageralter den Osterbrauch pflegen wollte. Dem Wasser wird zugeschrieben, dass es für reine Haut sorge. Das frühe Aufstehen hat sich für Kahles Tochter allerdings nicht gelohnt. „Auf dem Rückweg fragte jemand die Mädchen nach dem Weg zum Oster-Gottesdienst”, erzählt sie und da hätten die Mädchen doch antworten müssen. Viel mehr noch gefällt ihr aber das Märchen, das Loccumer Kindern bis in die 1950er Jahre aufgetischt wurde. Denen erzählten ihre Eltern nämlich, dass es keineswegs der Klapperstorch sei, der die kleinen Kinder bringen würde. Die Hebamme „Bökers Mutter” hole die Kinder nirgendwo anders heraus, als aus dem Jakobsbrunnen. Lieselotte Kahle ist es auch, die die Vermutung anstellt, dass der Name der Quelle „Jakobsbrunnen” auf die Pilgertradition im Kloster zurückzuführen sein könnte. Er könnte daher rühren, dass das Kloster einmal eine der vielen Stationen auf den Pilgerwegen nach Santiago de Compostela war, wo der Apostel Jakobus bis heute verehrt wird. Genaues weiß aber weder Lieselotte Kahle noch sonst jemand in Loccum. Dabei hatte 2003 der damalige Konventual-Studiendirektor des Predigerseminars im Kloster, Michael Wohlgemuth, in der Klosterbibliothek so manche Bücher gewälzt, um der Geschichte der Quelle auf die Spur zu kommen. Damals sollte er eine Ansprache an der Quelle halten, nachdem zwei Loccumer Vereine – die „Löccer Quekern” und die Jagd- und Alphornbläser – sie schön hergerichtet und in Sandstein gefasst hatten. Einige Bänke und einen Tisch mit einer massigen Sandsteinplatte aus dem benachbarten Münchehäger Steinbruch stellten sie damals auch dazu. Seitdem sitzen oft Spaziergänger dort und schauen auf Quelle, Fulde und den gegenüberliegenden Backteich. Der Blick lohnt ganz besonders zur Osterzeit, denn dann ist der Waldboden übersät mit einem Teppich aus Buschwindröschen. Diese Aussicht sollen über Jahrhunderte schon viele Liebespaare genutzt haben. Direkt über der Quelle, in den Sandstein eingelassen, prangt ein Sinnspruch: „Das lautere Wasser rinnt voll flüssiger Metalle, ein heilsam Eisenerz vergüldet seinen Lauf, so lauter sei dein Herz und diesem Quell entspringe der Weisheit kräftig Wort und richte Schwache auf.” Auch von diesem Spruch weiß niemand mehr, seit wann er dort steht. Bevor die Loccumer Vereine ein Metallschild arbeiten ließen, sei der Spruch schon in Holz verewigt gewesen, erinnerte sich der mittlerweile verstorbene Loccumer Chronist Konrad Droste. Er meinte auch, dass der Ursprung dessen auf die Zeit der Romantik zurückgehen könne und auf jene Zeit, als das „Paradies” im Loccumer Klosterforst entstand. Das, was die Loccumer ihr Paradies nennen, liegt auf der gegenüberliegenden Seite der Fulde: ein kleines rechteckiges Waldstück, das seinerzeit mit exotischen Pflanzen bestückt und mit verschlungenen Wegen versehen war. Der Sinnspruch jedenfalls lässt auf die Zeit der Romantik schließen. Wer dorthin komme und lauteren – also reinen – Herzens sei, der bekomme von dem Wasser „der Weisheit kräftig Wort”. Dass das Wasser außerdem Schwache aufrichten soll, weist eindeutig auf die der Quelle zugeschriebene heilende Wirkung hin. Heidnischer Glaube mag das wohl noch sein. Dass dieser auf Klostergrund verzeichnet ist, hat bislang allerdings noch niemanden der Klosterherren gestört. Der erste Teil des Sinnspruchs deutet hingegen auf etwas hin, dass jedem Besucher ohnehin ins Auge fällt: dort, wo das Wasser wenige Meter unterhalb der Quelle in die Fulde fließt, sind auf breiter Spur rötliche Ablagerungen auf dem Waldboden. Der starke Eisengehalt des Wassers zeigt sich deutlich und das ist es auch, was dem Wasser seinen typischen Geschmack verleiht. Wenn aber auch manche Tradition um den Jakobsbrunnen noch vorchristlicher Zeit zu entsprungen sein scheint, so nutzen doch Kloster und Kirchengemeinde das Wasser für ihre Zwecke. Taufpaten wird in Loccum grundsätzlich angeboten, das Wasser für die Täuflinge aus dieser Quelle zu holen. Einige Male schon ist der Gang von der Stiftskirche zu dem Brunnen gar zu einer großen Prozession geworden. Dabei gehen sie die ersten Schritte auf dem Pilgerweg von Loccum nach Volkenroda. Womöglich ist die Vermutung, der Name des Jakobsbrunnens hänge mit dem alten Pilgerweg nach Santiago de Compostela zusammen, doch recht nahe liegend. 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