Ein Sommerabend in Obernkirchen: Auf dem Gehweg ist eine 14-Jährige mit ihrem E-Scooter unterwegs, entgegen der Fahrtrichtung. Ein Auto biegt ein, es kommt zum Zusammenstoß. Die junge Fahrerin stürzt, sie hat Glück und erleidet nur leichte Verletzungen. Am Auto entsteht ein Schaden von rund 2.000 Euro.
Es ist einer von vielen Fällen, die die Polizei im Landkreis Schaumburg im Jahr 2025 registriert hat. Allein im September gab es schon ein Dutzend Pressemeldungen mit dem gleichen Tenor: E-Scooter-Fahrer unter Alkohol- und Drogeneinfluss, ohne Versicherung oder verwickelt in Unfälle. Öffentlich wird dabei nur ein Bruchteil an Verstößen.
Immer wieder werden E-Scooter auf Gehwegen oder in Fußgängerzonen genutzt, oft entgegen der Fahrtrichtung – mit Folgen. Bei einer Kontrollwoche Ende Juni in Stadthagen zählte die Polizei innerhalb kürzester Zeit 30 Verstöße. Auch Mehrfachnutzung (also mehr als eine Person auf dem E-Roller), Handy am Steuer oder fehlende Versicherung waren dabei. „Das sind keine Kavaliersdelikte“, betont die Inspektion. Immer öfter müssen Beamte Fahrten untersagen und sogar Strafverfahren einleiten.
Verletzungen nehmen zu
Besonders alarmierend ist der Blick in die Krankenhäuser. Im Klinikum Vehlen werden nach Unfällen mit E-Scootern nicht nur Prellungen oder Schürfwunden behandelt, sondern immer häufiger auch schwerere Verletzungen: Kopf- und Wirbelsäulenverletzungen, Knochenbrüche an Armen und Beinen. „Wir sehen eine Zunahme multipler Verletzungen, die oft durch fehlende Helme verschärft werden“, berichtet Agaplesion-Sprecherin Jana Pape. Besonders Kopfverletzungen könnten selbst bei niedriger Geschwindigkeit lebensgefährlich sein.
Auch Bernd Ritz von der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg sieht Handlungsbedarf: „Das Fahren mit dem E-Scooter hat sich vervielfacht. 2020 gab es bei uns noch 7 Unfälle, 2024 bereits 62.“ Für dieses Jahr laufen die Zählungen, aber schon jetzt sieht es nach einem Zuwachs aus. Stefan Schara, Leiter der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg, verweist auf eine klare Tendenz: „Die echten Zahlen der Schwerverletzten ohne Helm liegen deutlich höher als in unseren Erhebungen. Erst seit Kurzem dokumentieren wir überhaupt, ob bei Unfällen ein Helm getragen wurde. Doch schon jetzt zeigt sich: Ohne Helm steigt das Risiko massiv.“ Die Polizei reagiert mit verstärkten Kontrollen an Schulen, in Fußgängerzonen oder während der Wochenmarktzeiten. Ein anderes Problem ist der Opferschutz. Bisher haben Unfallgeschädigte häufig das Nachsehen, denn es gibt keine sogenannte Gefährdungshaftung.
Ein Blick ins Ausland
Wie ernst andere Länder die Gefahren nehmen, zeigt ein Blick über die Grenzen: In Kroatien und Portugal besteht Helmpflicht für alle E-Scooter-Fahrer, in Bulgarien zumindest für Jugendliche. Spanien verbietet strikt Alkohol während der Fahrt. Deutschland setzt bislang nur auf Empfehlungen: Eine gesetzliche Helmpflicht gibt es nicht. Ab April 2025 traten zwar schärfere Regeln in Kraft, mit höheren Bußgeldern und klareren Vorgaben im Straßenverkehr, doch eine Helmregelung ist weiterhin nicht vorgesehen.
Im Landkreis Schaumburg gibt es keinen E-Scooter-Verleih wie in Hannover oder anderen Großstädten. Dennoch zeigen die Polizeimeldungen: Auch wenn es hier verhältnismäßig wenig Verkehrsteilnehmer gibt, die mit dem E-Roller unterwegs sind, es kommt unproportional häufig zu riskanten Situationen. Im Rahmen des „Heimat-Checks“ des Schaumburger Wochenblatts äußerten sich viele Bürger kritisch. „E-Scooter-Rowdies“ seien ein wachsendes Ärgernis, hieß es mehrfach.
Sie sind klein, leise – und überall. E-Scooter haben sich auf unseren Straßen breitgemacht, doch sie begnügen sich längst nicht mit Asphalt und Radweg. Nein, wahre Herrscher ihrer Zunft machen auch vor Fußgängerzonen, Gehwegen und selbst in Geschäften nicht Halt – und hinterlassen dort eine Spur der Irritation.
Wo früher noch klare Regeln galten, herrscht heute das Prinzip „Ich fahre, also bin ich“. Rechts? Links? Fußgänger voraus? Allein oder zu zweit, wahre Akrobaten schaffen es auch zu dritt, mit Handy oder Joint in der Hand; alles zweitrangig. Wer auf zwei strombetriebenen Rädern unterwegs ist, folgt allem Anschein nach eigener Straßenverkehrsordnung – eine Mischung aus Tempo 25, rücksichtsloser Slalomfahrt und dem Glauben an die Unverwundbarkeit. Es gibt auch weiße Schafe, aber die fallen kaum auf.
Für Passanten bleibt nur das Spiel „Rette sich, wer kann“. Eltern ziehen ihre Kinder beim Schaufensterbummel vorsorglich näher heran, Senioren erstarren, wenn ein Roller wie ein geölter Blitz an der Hüfte vorbeizischt. Von Ordnung auf Gehwegen kann keine Rede mehr sein – vielmehr herrscht eine stille Form der Anarchie, die jede Verkehrsampel zu einem unverbindlichen Vorschlag degradiert. Polizei und Rettungskräfte haben dank der Einführung mehr zu tun bekommen.
Eines steht fest: E-Scooter sind praktisch und modern, möglicherweise sogar ein Baustein für die Verkehrswende auf dem Land, um schnell von A nach B zu kommen. Doch solange Rücksichtslosigkeit zum Fahrstil gehört und Fußgängerzonen als private Rennstrecke missverstanden werden, mutiert die schöne neue Mobilität zur Alltagsgefahr.