(tau): Herr Möller, Sie haben gerade den „anderen Adventskalender” wieder aufgelegt. Dahinter verbergen sich 24 Gemeindemitglieder, die nun jeden Tag eine 5-Minuten-Internet-Andacht halten. Morgens ab 6 Uhr steht der jeweilige Clip zum Abruf bereit. Der YouTube-Kanal wird auch regelmäßig mit neuen Inhalten bestückt. Da könnte man von einer gewissen Krisen-Routine und Leichtigkeit sprechen. Stimmt dieser Eindruck? Möller: Ja und nein. Zunächst einmal haben alle, die an den unterschiedlichen Formaten beteiligt sind, große Freude an dem, was sie tun. Und wichtige Triebfeder für uns alle ist dabei der Glaube, den wir haben und der uns fasziniert. Ohne diese Bereitschaft und diese Freude ginge das alles natürlich nicht. Insofern stimmt das mit der Leichtigkeit, auch weil alle miteinander und nicht gegeneinander arbeiten. Auf der anderen Seite haben wir dann auch großes Glück, dass im richtigen Moment Mensch und Ideen zusammengefunden haben. Für mich wäre es zum Beispiel kein Leichtes gewesen, Videoandachten oder Online-Gottesdienste herzustellen. In diesen technischen Dingen bin ich ein Neandertaler. Mit Mirko Neuhaus an meiner Seite, der sich mit Film, Schnitt, Ton und Licht auskennt, sieht das dann aber ganz anders aus. (tau): Herr Neuhaus, Sie sind also der Medienprofi? Neuhaus: Nicht von Anfang an, aber sehr interessiert am Gelingen. Ich habe mich nach und nach eingearbeitet, das Equipment aufgerüstet und laufend an Verbesserungen gefeilt, wie Einblendungen und zusätzliche Musik mit Klavier oder Gesang. Während ich für einen der ersten Gottesdienste, die als Video aufgezeichnet wurden, rund drei Tage in der Nachbearbeitung brauchte, sind es heute in der Regel vier Stunden in der Woche. Insofern stimmt das dann auch bei mir mit der Leichtigkeit, aber der Weg hin zu dieser Routine war schon etwas aufwendiger. Das kostet Zeit, die wir nur investieren können, weil eine Reihe von Ehrenamtlichen weiter dafür sorgen, dass die täglichen Abendandachten laufen, die Bücherei funktioniert, das Gemeindecafé stattfinden kann, der Regenbogen ausgeteilt wird und sie sonntags bei unseren drei Präsenzgottesdiensten unterstützend mitwirken. Auch der Kirchenvorstand unterstützt uns sehr, wenn er berät, entscheidet und Dinge anschiebt. Dafür sind wir sehr dankbar. (tau): Wie hat diese Reise denn begonnen? Neuhaus: Im März 2020. Als es hieß, die Kanzlerin würde eine Ansprache halten, war uns klar, dass die Geschäfte wohl schließen müssten. Also haben wir uns schnell noch eine Kamera gekauft. Ab dann war es ein Abenteuer. Wir bekamen aber Input eines Gemeindemitglieds von außen, ein richtiger Filmemacher mit Ahnung, der uns vorschlug, Predigten aufzuzeichnen und im Internet zu veröffentlichen. Er bot uns auch seine Hilfe an, sogar ein Kameramann vom NDR war da. Möller: Man muss sagen, wir sind da in viele Sachen hineingestolpert, aber dabei nicht hingefallen, sondern vielmehr richtig in Bewegung gekommen. Wir haben diese Krise dann auch als Chance verstanden. Die Kirche kann unter diesen schwierigen Bedingungen nämlich beweisen, dass sie zu den Menschen hingeht. Und das Erstaunliche ist, dass viele von sich aus eine Menge zurückgeben und sich einbringen wollen. So hatten wir erst gedacht, dass der andere Adventskalender als Idee vielleicht gar nicht richtig funktionieren würde, weil man einfach viele Mitmachende dafür braucht. Aber dieser Vorschlag kam dann aus der Gemeinde selbst und so nahm dieses Vorhaben an Fahrt auf. Das ist aus meiner Sicht ein schönes Beispiel für Beteiligungskirche. (tau): Und die Zielgruppe, wie kommen die Videos an? Neuhaus: Das ist ganz interessant. Wir haben Zuschauer nicht nur in Wunstorf, sondern bundesweit und weit darüber hinaus. Brasilien zum Beispiel, aber auch Russland und Neuseeland sind dabei. Viele Leute kennen wir zum Teil auch persönlich. Sie senden uns Grußbotschaften. Am Anfang waren es natürlich deutlich mehr Zuschauer, inzwischen gibt es eine kleinere Zahl von Stammzusehern. Das ist für uns aber Ansporn. Denn solange es Menschen gibt, die unsere Videos anschauen, machen wir weiter. (tau): Es ist also ein Projekt, das unabhängig von Corona bleiben wird? Möller: Ganz richtig. Wir verfahren nach dem Grundsatz, das eine tun, aber das andere nicht lassen. Denn klar ist natürlich auch, dass digitale Formate, so schön sie sind, die Präsenzveranstaltungen nicht ersetzen können. Hinzu kommt auf jeden Fall, und das ist mindestens genauso wichtig, dass der Rückhalt in unseren Familien groß ist. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um diese vielen Angebote, die manchmal an Grenzen führen, auch machen zu können. (tau): Sie sprechen die Präsenzveranstaltungen an, die unter Corona-Bedingungen auch in diesem Jahr sehr schwierig sind, insbesondere jetzt in eine der Hochzeiten des christlichen Glaubens. Wie möchte die Gemeinde die Weihnachtsbotschaft in diesem Jahr vermitteln und wird der Pastor wieder vor Wohnungstüren singen? Möller: Ja, das wird er, gerade weil es schwierig ist, mit mehreren Menschen zusammen und gerade Älteren Gottesdienste zu feiern. Dennoch haben wir mit insgesamt fünf Veranstaltungen an Heiligabend auch ein tolles Programm hier im kirchlichen Zentrum zusammengestellt, um vielen ein Angebot machen zu können. Ab 15 Uhr geht es los. Wir wollen so viel Präsenz wie möglich – aber natürlich im verantwortbaren Rahmen. Text/Foto: tau